von Dr. Stefan Rohr, München (E-Mail: dr.stefan.rohr [at] t-online.de)

Reise- und Einsatzbericht Namibia im Februar 2020

Im Team waren:
  • Dipl.-Stom Peter-Michael Nehring
  • Peggy Franke
  • Anke Lehmann-Fuchs
  • Dr. Stefan Rohr

Dieses Bild und die Worte „Life is a journey – Enjoy the ride“ beschreiben treffend die Stimmung im Land, als wir am Morgen des 22. Februar 2020 in Windhoek ankamen.  Die Menschen in Namibia sind voller Hoffnung. Ausdauernde Regenfälle machten der über viele Jahre anhaltenden Dürreperiode ein Ende. Ängste, dass der Klimawandel auch den fruchtbaren Teil des Landes in eine Wüste verwandeln würde, weichen der Hoffnung, dass die Landwirtschaft wieder in der Lage sein würde, die Menschen dieses wunderschönen Landes zu ernähren.

Die Landwirtschaft, ein bedeutender  Wirtschaftszweig Namibias, brach in den Zeiten der Dürre ein und führte das Land in eine inzwischen vier Jahre lang anhaltende Rezession. Medikamente, wie Insulin – und auch Anästhesie für Zahnbehandlungen – waren seit Monaten nicht mehr erhältlich. Die Zahnstationen stehen still. Spenden einiger Mitglieder von „Zahnärzte ohne Grenzen“ ermöglichen den Kauf von Tausenden von Carpullen Anästhesie und Komposit-Füllungsmaterialien, damit einheimische Zahnärzte Patienten wieder versorgen können.

Der Regen lässt die Menschen strahlen, das Gras wachsen und die Regierung auf eine wirtschaftliche Erholung hoffen. Die Not würde ein Ende haben. Niemand ahnt in diesen Tagen, dass es anders kommen würde. In Deutschland waren bis zu diesem 22. Februar bereits 14 Covid-19-Fälle erfasst.  Subsahara-Afrika war von dem Virus noch unberührt.

Die Wettervorhersage meines Handys prophezeite und bestätigte seit Wochen Regenfälle. Ca. 80% aller Strassen Namibias sind Sand- und Schotterpisten. Ein sandiger Untergrund wird bei Nässe tief, ein lehmiger spiegelglatt. Flussbetten, die seit Jahren ausgetrocknet waren, werden von reißenden Wassermassen geflutet.

Es ist eine lieb gewordene Gewohnheit, am Tag der Ankunft nicht die 500 km bis nach Grootfontein an einem Stück zu fahren, sondern auf halber Strecke, am Waterberg, zu übernachten. Der schier endlose Blick vom Waterbergplateau über die Kalahari, die Stille, der leuchtende Sternenhimmel lassen mich zur Ruhe kommen, in Afrika ankommen.

Die Pisten um den Waterberg gelten bei lang anhaltendem Regen als sehr gefährlich. Die Autovermietung legte uns eine schriftliche Warnung vor: Schäden am Auto, die durch Hochwasser verursacht werden, sind von der Versicherung nicht gedeckt. Am Tag vor unserer Ankunft wurde der Geländewagen eines Gastes der Waterberg-Lodge bei der Durchfahrt einer Furt von den Wassermassen mitgerissen. – Wir ändern unsere Route, umgehen den Waterberg und nehmen die sichere Asphaltstrasse nach Grootfontein.

Montag, 24.02.2020 Otjituuo:

Schwester Lenda hat ein “Project For Orphaned And Under Priviledged Children“ ins Leben gerufen. HIV machte 65,5% Kinder in Otjituuo zu Waisen. Mit grenzenloser Energie sammelt Schwester Lenda Spenden, um die Kinder in Otjituuo mit Essen und Kleidung zu versorgen. Jedes Kind weiß, wo es Schwester Lenda finden kann, wenn das Essen und die Hoffnung zu Ende gehen. Und jedes Kind weiß, Schwester Lenda wird helfen.

Eine Lebensmittelspende aus Russland erreicht heute Otjituuo. Dosenfisch und Maismehl werden an die Menschen verteilt. Jeder Bewohner Otjituuos trägt seinen Namen in eine Liste ein und erhält eine Dose Fisch und einen Sack Maismehl. Im Hintergrund sitzt der Stammesoberste und achtet darauf, dass die Lebensmittel gerecht verteilt werden.

Die Klinik in Otjituuo ist modern, unser Behandlungsraum großzügig bemessen. In Otjituuo besuchen wir die Primary School und untersuchen und behandeln die Schulkinder.

Am Abend des 24. Februar sind 16 laborbestätigte Coronafälle in Deutschland registriert.

Dienstag und Mittwoch: 25.02. und 26.02.2020: Otavi

Otavi ist eine Minienstadt, ca 100 km westlich von Grootfontein. Eine moderne Goldmine ist der bestimmende Arbeitgeber in dieser Region. Früher stellte ein staatlicher Zahnarzt aus Otjiwarongo, der Provinzhauptstadt, die zahnärztliche Versorgung in Otavi sicher. Personalmangel ließ diese Betreuung einschlafen. Routinemäßige Besuche von DWLF schließen diese Lücke und garantieren eine regelmäßige Versorgung.

In Otavi besuchen wir das „Home Of Hope“-Kinderheim der Johanniter.  Zu Fuß marschieren wir durch die regennassen, matschigen Straßen. Zwischen Wellblechhütten wäscht eine alte Frau in einer Metallschüssel ihre Wäsche. Der Weg führt vorbei an einem von hohem Gras überwucherten Friedhof. Am Straßenrand steht ein zerstörter LKW. Kinder springen mit Freude über die Ladefläche. Wir kommen zum „Home of Hope“ und betreten ein andere Welt. Der Innenhof ist gefegt, die Shirts und Hosen der Kinder haben keine Löcher und sind gewaschen. Wir untersuchen die Zähne der Kinder und vereinbaren, dass diejenigen, die eine Behandlung benötigen, am nächsten Tag zu uns in die Krankenstation kommen sollen.

Am 26. Februar sind 21 laborbestätigte bestätigte Coronafälle in Deutschland registriert.

Donnerstag, 27.02.2020: Kombat

Kombat liegt ca 60 km westlich von Grootfontein. Der Förderturm einer aufgelassenen Kupfermiene überragt den Ort. Die Krankenstation ist seit diesem Jahr in ein größeres Gebäude umgezogen. Sr. Sessi leitet nach wie vor die Krankenstation. Einen Arzt gibt es nicht. Flow-Charts an den Wänden helfen ihr, für verschiedenen Krankheitsbilder die richtige Medikation zu finden. Seit fast 21 Jahren ist sie für die medizinische Betreuung der Gemeinde zuständig.

Am späten Nachmittag besuchen wir das Schülerheim „Dornhügel-Hostel“ von Max und Irmgard Beyer in Grootfontein. Das Projekt ermöglicht 19 Kindern von Farmarbeitern in Grootfontein eine Schule zu besuchen und im Schülerheim zu wohnen. Ester, die Mutter des Heims, kocht und wäscht für die Kinder, flickt ihre Hosen und Hemden, lernt und spielt mit ihnen.

Wir untersuchen die Zähne der Kinder. Bei einigen Kindern ist eine Behandlung nötig. Voll Freude springen sie auf die Ladefläche von Max’ Pickup und fahren mit ihm zu unserem Appartement. Die Behandlungsstühle sind rasch aufgebaut. Es ist berührend, wie die Kinder sich bestehen. Eines hält die Hand des Kindes , das gerade behandelt wird, eines streichelt ihm fürsorglich über den Kopf.

Am  27. Februar sind 26 laborbestätigte Coronafälle in Deutschland registriert.

Freitag, 28.02.2020: Berg Auckas Primary School

Berg Auckas ist ein Jugendzentrum. Es liegt ca  20 km südöstlich von  Grootfontein. Es war das letzte Wochenende des Monats, das Wochenende, an dem die Schule früher endet, damit die Kinder zu ihren Familien nach Hause fahren können. Lehrer und Schüler waren bereits auf dem Sprung ins Wochenende.

Improvisation ist gefragt. Kurz entschlossen schlägt der Schulleiter vor, wir sollten schnell unser Equipment aufbauen und er würde die Kinder organisieren. Nach 15 Minuten sind wir startklar. Immer mehr Kinder trudeln ein und füllen den Raum. Wir untersuchen die Kinder und führen die notwendigen Behandlungen durch. Während ein Kind behandelt wird, schauen andere Kinder zu, lauschen interessiert, als wir jeden Schritt der Behandlung erklären.

Am Nachmittag nehmen uns Max und Irmgard mit auf die Farm “Dornhügel”.

Regenwolken türmen sich auf. Sie werden von der untergehenden Sonne dramatisch beleuchtet. Blitze zucken vom Himmel. Ein Wolkenbruch ergießt sich über den offenen Safari-Jeep. Tropfnass kehren wir zum Farmhaus zurück.

Samstag und Sonntag:

Das Wochenende soll uns Ruhe und Regeneration bringen. Der Etosha-Nationalpark mit seinen Tierherden lässt unsere Augen leuchten. Die Regenfälle füllten die riesige weiße Salzpfanne mit Wasser und erinnern an den See, der vor Tausenden von Jahren hier existiert haben muss.

Die zweite Woche führt uns ins Buschmannland und Hereroland. Der Outreach dauert vier Tage und erfordert eine sorgfältige Planung. Bloß nichts vergessen! Wasser,  jede Menge in Kanistern abgepacktes Wasser, steht ganz oben auf unserer Liste. In allen Krankenstationen im Buschmannland versiegen spätestens ab Mittag die Wasserhähne. Zum Befüllen des Steri, der Desinfektionswannen und als Trinkwasser für das Team bei Temperaturen von über 30 Grad sind 10 Liter pro Tag eingeplant.

Montag, 24.02.2020: Erste Station Mangetti Health Centre.

Mangetti liegt ca 180 km östlich von Grootfontein im Buschmannland. Dr. Marita Bossard, eine Ärztin aus der Schweiz, die einzige Ärztin im Buschmannland, arbeitet seit der Unabhängigkeit im Jahr 1990 in diesem Krankenhaus. Das Gebäude war das ehemalige Hauptquartier der südafrikanischen Armee. Nach Abzug der Südafrikaner hat es Frau Dr. Bossard zu einer Krankenstation umgebaut. Dr. Bossards Leben ist ein Leben für die Menschen im Buschmannland. Sie schenkt Hoffnung und Vertrauen – bescheiden, unbemerkt, selbstlos. Seit einem Jahr ist sie in Ruhestand getreten. Junge einheimische Ärzte, die die Regierung als Nachfolger nach Mangetti geschickt hat, bleiben nur kurze Zeit und verlassen das Buschmannland wieder. So kommt Frau Dr. Bossard immer noch täglich in die Krankenstation und sieht nach den Patienten.

Die hohen Temperaturen machen das Arbeiten mühsam. Die Wasserversorgung der Clinic ist bereits seit Tagen defekt. Die Toiletten werden dennoch benutzt.

Es sind zunächst wenig Patienten für uns da. Ich setzte mich auf einen Stuhl vor den Eingang der Krankenstation. Auf dem Nachhauseweg von der Schule kommt ein Kind bei mir vorbei. Wir unterhalten uns. Weitere Kinder kommen hinzu.

Wir kontrollieren und behandeln die Zähne der Kinder und verteilen Zahnbürsten. Immer mehr Kinder kommen. Sie bringen ihre Eltern und Geschwister mit.

Nachdem unser Tagwerk vollbracht ist, führt uns unser Weg weitere 120 km östlich nach Tsumkwe. Wir übernachten in der “Tucsin Tsumkwe Lodge”.

Am  02. März sind 150 laborbestätigte Coronafälle in Deutschland registriert.

Dienstag 03.03.2020: Gam

Gam liegt 120 km südlich von Tsumkwe. Warnschilder weisen darauf hin, dass wir uns in Elefantengebiet befinden. Gam liegt im Hereroland. Zum Schutz vor Maul- und Klauenseuche trennt eine Veterinärgrenze das Buschmannland vom Hereroland.

Gam ist ein Flüchtlingsort im Hereroland. Aus erbärmlichen Lehm- oder Wellblechhütten treten imposante Frauen, in üppige Kleider gehüllt, mit farblich abgestimmten Hererohüten. Die Männer tragen Hüte, Sakko und einen Gehstock.

Nicht nur Schmerzpatienten besuchen unser Dental Camp, viele Patienten wünschen sich ein „Cleaning“. Es freut uns, dass in den vergangenen Jahren ein Bewusstsein für Prophlaxe geweckt wurde.

Am  3. März sind 188 laborbestätigte Coronafälle in Deutschland registriert.

Mittwoch 04.02.2020: Tsumkwe

Theresia, eine Radiomoderatorin der NBC-Station in Tsumkwe, hat in Radiodurchsagen die Hörer informiert, dass Zahnärzte in der Stadt sind.

Ein Teil des Teams versorgt in der Krankenstation Patienten, während der  andere Teil die Tsumkwe Primary School besucht und 460 Kinder untersucht. Alle Kinder, bei denen Defekte festgestellt werden, kommen nach der Schule in die Clinic zur Behandlung.

Donnerstag 05.03.2020: Kalahari New Hope und Omatako

Im Jahr 2008 war Cornelia Pater von Rumänien ins Buschmannsland ausgewandert. Gemeinsam mit ehrenamtlichen Helfern und angestellten Buschmännern hat sie eine staatlich anerkannte Schule mit Unterkünften für Buschmannkinder gebaut. Seit dem letzten Jahr ist die Krankenstation des Kinderdorfs fertig gestellt.

Wir untersuchen die Kinder der Schule und behandeln alle Erwachsenen, die uns mit Schmerzen aufsuchen. Ein Teil des Teams fährt noch 40 km weiter nach Süden in die Omatako Clinic. Auch dort warten Patienten auf uns.

Am  5. März  sind 400 laborbestätigte Coronafälle in Deutschland registriert.

Am Freitag, den 06.03.2020 …

… reisen wir früh aus Grootfontein ab um rechtzeitig in Windhoek zu sein. Ein Termin mit dem Gesundheitsminister am frühen Nachmittag sollte unseren Einsatz abschließen. Im Ministerium erwartet uns der stellvertretende Minister und überreicht jedem Teammitglied eine „Certificate Of Appreciation“ als Dank für unsere Arbeit.

Die Reise geht zu Ende. Wir umarmen uns, schütteln Hände und ahnen nicht, dass es das letzte Mal für lange Zeit sein würde.

Seit zwei Wochen sind wir in Namibia, abgetrennt von der Wirklichkeit in Europa. Kein Fernsehen, kein Radio. Nur einige WhatsApps-Nachrichten aus der Heimat.  Wir wissen, dass sich das Virus in Europa ausbreitet, fühlen uns in Namibia geographisch und emotional 10.000 km weit davon entfernt. Die 1.560 Patienten, die wir in den vergangenen zwei Wochen gesehen haben, die aufwändige Logistik, die anstrengenden Fahrten über die regennassen Straßen hielten uns in Atem.

Am Samstag, den 07.03.2020 …

… landet die Air-Namibia-Maschine, mit dem bereits am 17.11.2019 abgebrochenen Ende der linken Tragfläche, pünktlich in Frankfurt.

Das Coronavirus füllt die Schlagzeilen aller Tageszeitungen. Nachrichtenbildschirme am Flughafen zeigen Bilder von leeren Regalen in Einkaufs- und Drogeriemärkten. Vorwurfsvolle Blicke treffen mich, wenn ich Menschen zu nahe komme. Menschen bewegen sich nicht mehr geradlinig. Sie weichen einander aus wie gleichgepolte Magneten, die sich zu nahe kommen. Der Taxifahrer verweist mich auf den Rücksitz. Die Wucht der Pandemie und ihrer Folgen bricht über mich herein.

795 bestätigte Fälle. Bis heute wurde noch kein Todesfall in Deutschland registriert.

Am 14.03.2020 wird der erste Covid 19 Fall in Namibia nachgewiesen.

Noch am 14.03.2020 schließt der Präsident Namibias, Dr. Hage Geingob, die Landesgrenzen für Ausländer und ruft den nationalen Notstand aus. Lockdown auch in Namibia.

“Life is a journey” – Namibia war so nahe an einer wirtschaftlichen Erholung. Hoffnung keimte auf. Dann ließ das Sars-Cov-2-Virus alle Hoffnungen platzen. Der Naturtourismus, Namibias drittgrößter Wirtschaftszweig und größte Devisenquelle, bricht weg. Ganze Dorfgemeinschaften leben vom Safari-Tourismus. Nun gibt es keine Gäste mehr. Arbeitslosigkeit, Armut, Krankheit und Hunger, die treuen Begleiter der letzten Jahre, sind zurück.

Aus tiefstem Herzen wünsche ich Namibia und seinen Menschen:

A safe ride! May God bless you!

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