von Caroline Arp und Dr. Viktoria Nellissen

Einsatzbericht Namibia-Süd – September/Oktober 2017

Seit unseren ersten Besuchen auf dem schwarzen Kontinent, die bisher unabhängig voneinander erfolgten, sind wir seiner Faszination verfallen. Der nächste Besuch war nur eine Frage der Zeit. Und da uns dort die (zahn-)medizinisch mangelhaften Versorgungsmöglichkeiten nicht entgangen sind, entwickelte sich mit wachsender Berufserfahrung zunehmend der Wunsch, bei einem Einsatz der Zahnärzte ohne Grenzen mitwirken zu können.

Im September 2017 sollte es dann endlich soweit sein. Nach monatelanger Vorbereitung und netter Unterstützung durch Frau Selz und Herrn Dr. Stefan Rohr trafen wir uns am 22.09.2017 am Flughafen in Frankfurt am Main, um in den Airbus Richtung Südhalbkugel zu steigen. Unsere Destination: Windhoek, Namibia. Uns auf dieses Land als Einsatzort zu einigen fiel uns alles andere als schwer.

Da wir aus organisatorischen Gründen keine für uns passenden Flüge mit Air Namibia finden konnten, mit der die DWLF kooperiert und gebührenfreies Zusatzgepäck möglich ist, tat sich im Vorfeld ein „kleines“ Gepäckproblem auf. Es haben sich tollerweise viele nette Materialspenden angesammelt, die in Form eines riesigen schweren Pakets bei Viki in Hamburg eintrafen. So schwer, dass eine Person unmöglich hätte alles allein transportieren können. So erkundigten wir uns vor der Reise, welche Materialien vor Ort Mangelware sind, um so viel wie möglich davon in unsere Koffer zu quetschen. Da man vor Ort in den meisten Lodges waschen kann, haben wir nicht viel Persönliches mitgenommen, um Platz zu sparen. Am Flughafen wurde dann vor dem Check-In so lange umgepackt und umgeschnallt bis die Koffer auf der Waage das gewünschte Gewicht anzeigten.

In Windhoek angekommen stellten wir uns direkt unserer ersten Herausforderung vor Ort, dem Linksverkehr. Bei unserer ersten Fahrt, die uns nach Klein-Windhoek zu unserer ersten Unterkunft führen sollte, fühlten wir uns beobachtet von vielen „Baboons“ (Pavianen), die in  großen Gruppen am Straßenrand saßen.

Die nächsten Stunden konnten wir noch am Pool liegend die Sonne genießen und ein wenig Schlaf nachholen bevor wir uns am nächsten Tag direkt früh morgens Richtung Keetmanshoop aufmachten. In der dortigen Klinik sollte uns Dr. Chigova und sein Team erwarten.

v.L.: Dr. Kuba, Dr. Chigova, Caro, Sister Elizabeth, Viki, KayOne

Am Montag, den 25.09.2017 fanden wir uns direkt früh um acht Uhr in der Klinik in Keetmanshoop ein. Dort lernten wir den wirklich ausgesprochen netten Herrn Dr. Chigova kennen, der uns mit den beiden Zahnärzten Michael Kayone (gesprochen „Kajoneh“) und Alcibiades Reynaldo bekannt machte. Da wir uns den Vornamen von ZA Reynaldo partout nicht merken konnten, wurde er ab sofort schlicht „Dr. Kuba“ genannt, aufgrund seiner kubanischen Herkunft. Als Spitznamen für ZA Kayone bot sich „KayOne“ an, angelehnt an Bushidos besten Freund. Im Laufe der Woche musste er sich abends unfassbar viele unsägliche Musikvideos mit uns anschauen.

Weitere Unterstützung sollte uns von der lieben Elizabeth sowie Meme Magdalena zuteil werden, unsere beiden Assistentinnen der ersten Woche. Nach einem kurzen Rundgang durch die Klinik luden wir die Materialien sowie die mobilen Einheiten in unsere Fahrzeuge und bestritten das letzte Stück unseres Weges nach Rosh Pinah.

Rosh Pinah ist eine kleine Stadt, die von der Minenarbeit lebt. Als wir dort einfuhren sahen wir zunächst einige Wellblechhütten. Das Stadtbild wandelte sich jedoch, je weiter wir in die Innenstadt fuhren. Dort wirkte das Städtchen sehr idyllisch, erinnerte nahezu an eine amerikanische Kleinstadt mit seinen kleinen Einfamilienhäuschen, mit angebauten Garagen und Gärten. Es sah alles so gepflegt und harmonisch aus, dass wir uns anfangs fragten, ob wir hier wirklich richtig sind.

Nachdem wir alle in der überraschend tollen Hotelanlage eingecheckt hatten, ging es auch schon an den Aufbau unseres Dentalcamps für den nächsten Tag. Vor allem die liebe Elizabeth glänzte hierbei durch ihre Erfahrung aus vorigen Einsätzen. Drei mobile Einheiten samt Liegen wurden aufgestellt und allerhand Materialien sinnvoll bereitgelegt und präpariert. Wir waren erstaunt, was uns alles zur Verfügung stand, da wir uns mental auf wesentlich weniger Equipment eingestellt hatten.

Ab dem zweiten Tag in Rosh Pinah starteten wir die Behandlung um acht Uhr bei frischen Temperaturen. Viele Patienten haben den Weg per Anhalter von außerhalb auf sich genommen, da Rosh Pinah für sie besser zu erreichen war als „Keetmans“ oder Windhoek. Der Behandlungsbedarf war groß und bunt gemischt. Uns erwarteten viele Füllungen und Extraktionen, einige kamen aber auch nur zur Kontrolle oder für eine Zahnreinigung. Dr. Kuba erwies sich als kompetente Hilfe bei schwierigen Zahnentfernungen und gab uns einige hilfreiche Tipps, denn sowohl die Knochenstruktur als auch die Wurzellängen vieler einheimischer Patienten gestalteten erforderliche Zahnentfernungen teilweise recht schwierig.

Mit jedem Tag organisierte sich unser kleines Team besser und spielte sich ein. Natürlich blieben durch einige lokale Gegebenheiten Kompromisse bei der Behandlung nicht aus, vor allem an vorbildliche Ergonomie war streckenweise nicht zu denken. Die Ergebnisse führten dennoch überwiegend zu glücklichen Gesichtern,  – und allein dafür haben sich unsere Rückenschmerzen gelohnt.

Am vorletzten Tag wurden wir von einem Kamerateam des namibischen Senders NBC überrascht, welches uns spontan zu einem Interview motivierte, das später landesweit in den Abendnachrichten zu sehen war. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt leider keinen Fernseher mehr, hoffen aber stark, uns nicht vollkommen blamiert zu haben mit unserem Schulenglisch.

Kurz vor Ende unseres ersten Einsatzes wurde uns dann klar, dass man die Arbeit in Afrika auf keinen Fall unterschätzen darf und man nach ein paar erfolgreichen Tagen trotzdem sehr vorsichtig sein muss. Wir hatten ein Kind in Behandlung, welches sehr laut schrie und den Kopf einfach nicht stillhalten wollte. Ein entzündeter Zahn musste aber dringend extrahiert werden. Dr. Kuba versuchte mehrmals eine Lokalanästhesie zu setzen, schaffte es auch ein paar Mal kurz, doch dann passierte es, und er stach sich mit der bereits kontaminierten Nadel selbst. Nun musste gehandelt werden, aber was macht man in Afrika, wenn man sich verletzt? Einen Betriebsarzt oder ähnliches gibt es dort nicht. Selbst der erfahrene Zahnarzt Dr. Kuba war sehr erschrocken, denn fast jede/-r zweite Einheimische ist mit HIV infiziert, wissentlich oder unwissentlich.

Wir haben sofort die Mutter des Kindes gefragt, ob es möglicherweise infiziert ist. Die Mutter konnte diese Frage aber nicht abschließend beantworten. Wir sind dann mit Dr. Kuba in ein angrenzendes Krankenhaus gefahren, um einen HIV Schnelltest bei ihm durchführen zu lassen. Dr. Kuba wurde Blut abgenommen und bekam eine Entwarnung. Völlig unklar blieb allerdings, ob das Kind denn nun infiziert ist oder nicht. Die Frage, ob wir dem Kind nicht auch Blut abnehmen müssten, um eine Sicherheit zu haben, wurde gar nicht in Erwägung gezogen. Wir haben also so lange Aufstand im Krankenhaus gemacht, bis das Kind ebenfalls ins Krankenhaus kommen durfte, um ihm Blut abzunehmen. Letztlich ist alles gut gegangen und das Kind war nicht infektiös, aber der Ablauf und das teilweise Unverständnis mit dem Umgang dieser Krankheit hat uns sehr vorsichtig werden lassen.

Die weiteren Tage vergingen wie im Fluge, da wir jeweils von morgens bis abends sehr viel zu tun hatten. Am letzten Tag wurde unser Team zum Abschied zu einer exklusiven Besichtigung der Scorpions Zinc Mine eingeladen, die wir interessiert begrüßten. Normalerweise gibt es für  Touristen keinen Zugang zu diesen Minen, sodass es wirklich etwas sehr Besonderes für uns war und uns nochmal einen ganz anderen Einblick in Land und Leute gewährte. Hierfür möchten wir uns an dieser Stelle nochmal ganz besonders bei Vivian bedanken, die dies in die Wege leitete und überhaupt alle Tage in Rosh Pinah sehr um unser Wohlergehen bemüht war.

Nach dem ersten Einsatzort verbrachten wir dann das Wochenende in der Fish River Lodge, bevor wir zu unserer zweiten Station aufbrachen. Für uns beide war die Fish River Lodge das Atemberaubendste was wir bisher gesehen haben. Eine Lodge, die direkt in einen Canyon gebaut wurde und im totalen Nirgendwo liegt. Hier haben wir direkt in der wahnsinnig beeindruckenden Natur Namibias gelebt.

Nach diesem sehr erholsamen Wochenende brachen wir zu unserer zweiten Station auf. Es sollte nach Aussenkehr gehen. Wir hatten keine Ahnung, was uns dort erwarten würde. Es hieß nur, dass dort ein tolles Weinanbaugebiet sei und wir direkt am Orange River, der Grenze zu Südafrika, untergebracht sein werden.

Aussenkehr

Fast neun Stunden Fahrt hat es gedauert, bis wir endlich in Aussenkehr, am südlichen Zipfel Namibias, ankamen. Nach einer teilweise ziemlich heftigen Offroad-Fahrt waren wir sehr geschafft und hätten nicht gedacht, dass das Dorf, welches wir am Straßenrand sahen, unser Einsatzgebiet werden sollte. Die Einwohner von Aussenkehr wohnen ohne sanitäre Anlagen und ohne Elektrizität in Stroh- und Wellblechhütten.

Wir bauten unser Camp neben der „Aussenkehr Clinic“, einer Wellblechhütte, auf. Die Leute traten uns mit sehr viel Freundlichkeit gegenüber und halfen uns sogar die schweren Einheiten und Stühle aus dem Kofferraum zu tragen, da wir dies unmöglich alleine geschafft hätten.

Neben unserem Camp gab es vier große Wasserhähne, die aus der Erde ragten. Hier konnten sich die Einwohner Wasser abfüllen, sich waschen und trinken. Die Armut der Leute hier war teilweise schwer zu ertrage, und die eigenen Probleme wurden plötzlich ganz klein, mussten diese Leute doch teilweise jeden Tag neu ums Überleben kämpfen.

Auch in Aussenkehr hatten wir ein super Team. Wir wurden unterstützt von Sister Curie, Suzanna und Lena. Sister Curie regelte das Organisatorische, achtete darauf, dass sich niemand vordrängelte und bereitete die Instrumente vor. Suzanna und Lena waren unsere Assistentinnen, sodass wir Hand in Hand sehr schnell und effizient behandeln konnten. Unsere Hauptaufgabe bestand hier aus Extraktionen und Füllungen. Wenn wir morgens ankamen, standen die Einheimischen schon Schlange und begrüßten uns freundlich.

In der Zeit in Aussenkehr hatten wir deutlich mehr zu tun als in Rosh Pinah, die Zeit verging wie im Fluge.

Suzanna und Lena wohnen auch in Aussenkehr und wir hatten riesiges Glück, denn die beiden haben uns ihre Häuser – und wie sie darin leben – gezeigt. Das war mitunter der beeindruckendste Part unserer Reise nach Namibia. Wir durften mit den beiden durch die „Stadt“ laufen und sogar ihre Häuser betreten. Die Wellblechwände hatten sie sich von innen mit schönen Tüchern abgedeckt, sodass es direkt sehr gemütlich wirkte. Für uns ist es trotzdem schwer vorstellbar in einer solcher Hütten zu leben. Suzanna und Lena erläuterten uns, es sei ein Privileg eine Hütte aus Wellblech anstelle einer aus Stroh zu bewohnen, denn diese fingen nicht so schnell Feuer.

Früh morgens und nachts gab es Temperaturen um die vier Grad. Wir wären wahrscheinlich so gut wie erfroren, hätten wir dort schlafen müssen. Bereits in den Holzhäuschen, in denen wir untergebracht waren, konnten wir nachts kaum schlafen, weil es so kalt war. Als wir mit Suzanna über diese kalten Nächte zu sprechen kamen, sagte sie einen Satz, der uns jedes Mal wenn wir davon erzählen Tränen in die Augen treibt: „Ich bin froh über jede Nacht, die meine Tochter und ich überleben.“

Mit sehr gemischten Gefühlen und äußerst nachdenklich haben wir unseren zweiten Arbeitsplatz Aussenkehr dann verlassen. Anschließend haben wir uns dann noch etwas Zeit genommen um das Land auf eigene Faust näher kennen zu lernen und zu entdecken, aber am besten lernt man Land und Leute doch durch so einen Einsatz kennen.

Wir sind sehr froh, dass wir diese bereichernde Erfahrung machen durften und denken gerne an die Zeit in Namibia zurück. Wenn es uns möglich wäre würden wir sofort ins Flugzeug steigen und in dieses Land zurück fliegen.

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