von Dr. Stefan Rohr, München (E-Mail: dr.stefan.rohr@t-online.de)

Arbeitsbericht Namibia Nord: 13.02.2016 – 28.02.2016

2012 begann das DWLF Namibia Projekt in Grootfontein. Auf Wunsch der namibischen Regierung erfolgte im September 2015 eine Umstrukturierung. Die Chief Dentist der Otjozondjupa Region, Dr. Ester Namwandi, übernahm die Leitung des Projekts. Zusammen mit Dr. Namwandi entwickelten wir einen Arbeitsplan. Das Projekt soll zum einen den Schmerzpatienten in den entlegenen Dörfer, die keinen Zugang zu einer zahnmedizinischen Versorgung haben, Hilfe bringen und zum anderen Vorsorgeuntersuchungen in den Schulen durchführen.

Unser Team war das erste, das unter der neuen Leitung  in den Norden Namibias reiste.

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Das Team:

  • Dr. Marie-Teres Stehmann
  • Tina Gauss
  • Manisha Koch
  • Dr. Stefan Rohr

Samstag, Tag 1: Windhoek

Die SAA Maschine landet. Eine Gangway wird heran geschoben. Die Türe öffnet sich. Gleißendes Sonnenlicht und tropische Temperaturen umarmen unsere winterweiße Haut.

Bei meinem 8. Einsatz zeigt sich Namibia von einer neuen Seite. Die rote Erde der Gravel Roads schneidet sich durch saftiges Grün. Das Gras steht hoch, die Bäume tragen üppig Laub. Schmetterlinge tanzen in unvorstellbaren Scharen zwischen den Blüten. Rinder grasen gierig. Der Nachmittag stapelt Wolken zu bedrohlichen Türmen. Dramatisches Wetterleuchten umzingelt uns. Kurze tropische Wolkenbrüche trommeln auf die Blechdächer.

Das karge, wüstengleiche Bild Namibias aus früheren Reisen – nur mehr eine Erinnerung.

Sonntag, Tag 2: Grootfontein

Max und Irmgard Beyer – Vertrautheit, Herzlichkeit, freudiges Willkommen. Wir beziehen unser Apartment und inspizieren den gut bestückten DWLF-Materialschrank.

Max grillt für uns, Irmgard hat Salate vorbereitet. Beide erzählten von der Farm, dem ausbleibenden, dauerhaften Regen, der die Wasserlöcher für das Jahr füllen soll, der Angst einer zweiten Dürre in Folge, den Rindern, die nicht wachsen wollen, dem Verkauf von einem Drittel des Tierbestandes.

Wasser, in meiner  europäischen Gedankenwelt keinen Gedanken wert, eine Selbstverständlichkeit, ist in diesen Breiten eine rare Kostbarkeit.

Montag, Tag 3 : Otjituuo

Ein Dorf im Hereroland, ca 60 km östlich von Grootfontein.

HIV machte ein Drittel der hier lebenden Kinder zu Waisen. Die Primary School bietet Übernachtungsmöglichkeiten für 150 Kinder. Die übrigen Waisenkinder leben im  Staub der Strassen, unter Bäumen, finden bei anderen Familien Unterschlupf. Seit Jahren erbittet das Dorf Gelder für den Bau eines Waisenhaus. Bisher ohne Erfolg. Die Kassen der Regierung sind leer. Ein Junge ohne Hose und Schuhe schiebt sich in meine Wahrnehmung. „Er hat nichts anzuziehen“ hörte ich Sr. Lenda sagen. „Wie teuer ist eine Schuluniform? Schuhe, Hose, Hemd?“ frage ich. „250,00 NAD“ (ca. EUR 14,25). Ohne Nachzudenken griffen unsere Hände in die Hosentaschen und holten  die Scheine für eine Uniform hervor. Am Freitag derselbe Woche traf ich Sr. Lenda in Grootfontein. Mit leuchtenden Augen  öffnete sie eine Plastiktüte: glänzende Schuhe, ein strahlend weißes Hemd und eine nagelneue graue Hose für den Waisenjungen.

Die Krankenstation in Otjituuo ist modern und gepflegt, unser Behandlungsraum großzügig bemessen.

Ein Teil des Teams besuchte die Primary School. Kinder von Pre-Primary bis Grade 7 bekamen Check Ups und Zahnbürsten. Kinder mit behandlungsbedürftigen Befunden erhielten in der Krankenstation die nötige Hilfe.

Dienstag, Tag 4: Berg Auckas Primary School.

Berg Auckas ist ein Jugend Zentrum ca 40 km nördlich von Grootfontein. Alle Schüler von Pre-Primary bis Grade 7 wurden untersucht und behandelt.

Im Innenhof kochten zwei Frauen über offenem Feuer Milipap, einen Brei aus Maismehl. Eine warme Mahlzeit pro Tag für die Schüler.

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Mittwoch, Tag 5: Kombat Clinic

Kombat liegt ca 60 km westlich von Grootfontein. Der Förderturm einer Kupfermiene überragt den Ort. Die Krankenstation ist nicht mehr ganz neu. Sr. Sessi sitzt hinter einem großen Schreibtisch. Hinter ihr hängt Wäsche auf einer Leine zum Trocknen. Seit fast 21 Jahren ist sie für die medizinische Betreuung der Gemeinde zuständig.

Donnerstag, Tag 6: Otavi Medical Center:

Auch Otavi ist eine Minienstadt. Eine moderne Goldmine ist der bestimmende Arbeitgeber in dieser Region. Früher stellte ein staatlicher Zahnarzt aus Otjiwarongo, der Provinzhauptstadt, die zahnärztliche Versorgung in Otavi sicher. Personalmangel ließ diese Betreuung einschlafen. Routinemäßige Besuche von DWLF sollen diese Lücke schließen und eine verlässliche Versorgung garantieren.

135 Schmerzpatienten suchten uns auf. Die Schule von Otavi wartet noch auf einen Besuch von DWLF. Die für unser Projekt verantwortliche Nurse, Sr. Frieda, wünscht sich von unserem nächsten Team zwei Arbeitstage.

Freitag, Tag 7: Shamalindi Primary School, Grootfontein

Ca. 10 km nordwestlich von Grootfontein liegt in vollkommener Abgeschiedenheit die Shamalindi Primary School. Die Schule hat 88 Schüler, deren Eltern auf den umliegenden Farmen arbeiten.

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Samstag/Sonntag, Tag 8 und 9: Waterberg Plateau

Das Wochenende sollte uns etwas Ruhe und Regeneration bringen. Eingebettet zwischen den hohen Felswänden des Waterberg Plateaus liegt die Waterberg Wilderness Lodge.

Die Sonne lässt die Felswände rot leuchten, ein Trupp Affen zieht durch das idyllische Tal, Kudu-Antilopen grasen im Schatten riesiger Ficusbäume. Drei Breitmaulnashörner sind das Highlight des Game Drives.

Montag, Tag 10: Mangetti Health Center,

Mangetti liegt ca 180 km östlich von Grootfontein im Buschmannland.

Dr. Marita Bossard, Ärztin aus der Schweiz, arbeitet seit der Unabhängigkeit 1990 in diesem Krankenhaus. Das Gebäude  war  das ehemalige Hauptquartier der südafrikanischen Armee.  Nach Abzug der Südafrikaner hat sie es zu einer Krankenstation umgebaut. Vor einigen Jahren hat sie ein Waisenhaus der Krankenstation angegliedert. Berührend zu sehen, wenn sie mit Waisenkindern an der Hand über den Hof schlendert und die Kinder vertrauensvoll zu ihr aufblicken. Dr. Maritas Leben, ein Leben für die Menschen im Buschmannland. Sie schenkt Hoffnung und Vertrauen – bescheiden, unbemerkt, selbstlos.

Mit Frau Bossard haben wir den Arbeitsplan für das Buschmannland 2016 ausgearbeitet. Jeder Krankenstation liegt dieser Plan bereits vor.

Dienstag, Tag 11: Gam, 380km nordöstlich von Grootfontein

Gam ist eine Flüchtlingsort im Hereroland. Aus erbärmlichen Lehm- oder Wellblechhütten treten imposante Frauen, in üppige Kleider gehüllt, mit den farblich abgestimmten Hererohüten.

Die Krankenstation war über unseren Besuch informiert, dennoch hielt sich das Patientenaufkommen in Grenzen. In Gam gibt es eine neue Schule für 930 Schüler. Der Direktor war von unserem Besuch erfreut. Viele Schüler kamen mit ihren Zahnproblemen zu uns in die Krankenstation.

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Mittwoch, Tag 12: Tsumkwe

Auch in Tsumkwe war das Patientenaufkommen gering, obwohl Poster in der Krankenstation und beim Central Dealer über unser Erscheinen informierten.

Ein Teil des Teams besuchte die Secondary School und untersuchte einige Schulklassen. Die Schüler brachten ihre Zahnprobleme in die Krankenstation und wir halfen ihnen.

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Donnerstag, Tag 13: Omatako

In Omatako war  das Stromsystem seit zwei Tagen ausgefallen. Wir konnten nur Zähne extrahieren. Der Leiter der Schule von Omatako besuchte uns in der Krankenstation. Er bat um einen Besuch in seiner Schule und die Untersuchung aller Schüler. Ich habe zugesagt, dass das nächste Team sich bei ihm per E-Mail melden wird.

Der Stromausfall in Omatako öffnete ein Zeitfenster für  einen Besuch im Kalahari New Hope Children’s Village. Cornelis Pater war 2008 von Rumänien ins Buschmannland ausgewandert. Gemeinsam mit  ehrenamtlichen Helfern und angestellten Buschmännern hat dieses Projekt eine staatlich anerkannte Schule mit Unterkünften für Buschmannkinder gebaut.

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Der Lehm der Felder, in Formen gefüllt und von der Sonne getrocknet, dient als Baumaterial. Die Buschmänner bekommen das Knowhow und Hilfe, um auch für sich Steinhäuser zu bauen. Häuser, die Regen abhalten und bei Wind nicht Feuer fangen, wie ihre Strohhütten.

Jeder Schüler dieses Kinderdorfes besitzt eine Zahnbürste. Tägliches Zähneputzen ist Teil des Unterrichts. Die untersuchten Kinder zeigten weitgehend kariesfreie Zähne.

Cornelia  hat uns zum Essen eingeladen. Ein Essen, gemeinsam mit ca. 40 ehrenamtlichen Helfern, alle rumänischer Abstammung und heute über die Welt verteilt, die meisten aus den USA. Sie kamen nach Namibia, um einige Wochen ihrer Lebenszeit für dieses Projekts zu geben.

Seelenverwandte, sagte eine innere Stimme zu mir. Andere Sprache, andere Tradition, andere Art der Hilfe – gleiche Herzen.

Freitag, Tag 14: Grootfontein

Reinigung, Sterilisation, Verstauen des Equipments. Stille in mir, während meine Finger schlichten und Listen schreiben. Die Bilder der vergangene Tage ziehen wie ein unvergesslicher Film durch meine Gedanken.

Nachmittag: Meeting bei Dr. Namwandi in Otjiwarongo. Das erste Projekt unter ihrer Leitung geht seinem Ende zu. Wir erzählen. Sie lächelt dankbar. Das Nordprojekt lebt.

Herausfordernd in diesem Projekt ist der Informationsfluss. Alle Krankenstationen waren über unser Kommen  informiert. Schwierig ist der Transport dieser Information in die kleinen Dörfer im Busch. Zukünftig sollen Radiodurchsagen diese Nachricht in den Busch tragen.

Patientenmangel war nie ein Problem. Die Schulen in jedem Ort hielten ein unerschöpfliches Reservoir für uns bereit.

Montag, Tag 15: München

Kälte, Sturm und Schneeregen stellen sich uns in den Weg. Die Flüchtlingsproblematik schlug uns von den Schlagzeilen der Tageszeitungen entgegen. Europa findet keine Lösung.

Ich verliere meine Orientierung. Bin ich wirklich hier zu Hause? Sehnsucht nach Menschlichkeit zieht meine Gedanken zurück nach Afrika.

Kleine Projekte, Cornelia Pater und ihre Buschmannschule, Dr. Marita Bossard und ihr Krankenhaus im Busch, DWLF und die mobilen Zahnstationen machen das Leben der Menschen in ihrer Heimat ein Stückchen lebenswerter. Projekte selbstlos, unbürokratisch und  zielgenau dort, wo die Not am größten ist.

Den Zahnschmerz nehmen ist dabei nur eine Facette. Den Menschen zuzuhören, ihr Leid verstehen, ein verlorenes Kind an die Hand nehmen – die Seele im Menschen sehen – schafft Vertrauen. Das Vertrauen, nicht vergessen zu sein, Vertrauen auf Hilfe, die das Leben leichter und lebenswerter macht.

Mein besonderer Dank gilt:

Marie-Teres Stehmann, Tina Gauss und  Manisha Koch, die mit ihrer Energie und Hingabe dieses Projekt möglich gemacht haben.

  • Schellenberg Brushes
  • Colgate
  • Kanidenta
  • South African Airways
  • Herr Arno Mähringer
  • Herr Dr. Claus-Jürgen Staiger
  • Herr Dr. Christopher Weiß
  • Herr H.G. Fritzsche
  • Frau Barbara Hank
  • Frau Gundi Spiegel
  • Frau Elisabeth Rohr
  • Dr. Manfred Rohr

Dr. Stefan Rohr
München, 10.03.2016

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